Der Tote im Spargelfeld
Klaus-Dieter Budde
 

Leseprobe

Prolog

Hubert van der Ahe setzte die Staubschutzmaske ab und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Verdammt warm hier im Gewächshaus. Nachdem auch der Schutzanzug und die Gummihandschuhe abgelegt waren, wurde erst einmal Teewasser aufgesetzt.

Hubert entschied sich für einen herben Ostfriesentee und setzte sich mit einem großen Becher auf seine alte Eichenbank vor dem Haus in die späte Oktobersonne. Ein Pfeifchen dazu war für Hubert Entspannung pur. Hubert grinste zufrieden vor sich hin: Er hatte es endlich geschafft! Nächste Woche musste er das Ergebnis nur noch für sich registrieren lassen, dann das Produkt meistbietend verkaufen und sein Traum von einem Blockhaus in den kanadischen Wäldern wurde endlich Wirklichkeit.

Heute Abend aber wollte er noch zur Generalversammlung der Stader Saatzucht, einer der größten ländlichen Waren- und Agrargenossenschaften in Deutschland. Er hatte nicht viele Anteilsscheine, aber immerhin konnte man dort auf Kosten der Veranstalter ein paar Kanapees und alkoholische Getränke abgreifen.

Gute Gespräche mit den Landwirten der Gemeinde konnte er nicht erwarten, oft hatte er das Profitgehabe der Bauern und den daraus resultierenden Umgang mit ihren Tieren lauthals kritisiert. Aber denen wollte er es heute Abend zeigen. Hubert von der Ahe war mit sich zufrieden. Nach einer landwirtschaftlichen Ausbildung und einem Biologiestudium verwirklichte er sich auf seinem kleinen Bauernhof und verschrieb sich der Weiterentwicklung von Spargelsorten, bisher von den Spargelprofis eher bedauernd belächelt.

Nebenbei betrieb er noch eine Galloway-Zucht. Tierschutz beim Nutzvieh war ein wichtiges Thema für ihn, weshalb er immer wieder aneckte. Aber jetzt, im Alter von 38 Jahren, hatte er es geschafft. Die Galloways waren schon verkauft, und die Veräußerung seiner neuesten Entwicklung war absehbar. Nun hatte er genug geträumt: Nichts wie unter die Dusche und feingemacht. Die zu erwartende Dividende der Saatzucht war noch einmal ein Ansporn. Mit seinem E-Bike würde er in gut 30 Minuten in Harsefeld sein.

1. Kapitel
Landvolk unter sich

Die dünn besiedelte Stader Geest ist durch sandige Geestböden, naturbelassene Flussniederungen und Moore geprägt. In der Region wird die Landwirtschaft von Tierzucht, Milchviehhaltung dominiert. Es werden auch häufig Kartoffeln und Spargel angebaut. Vielerorts spielen Windenergie und Photovoltaik zur Gewinnung der sogenannten grünen Energie eine große Rolle. Das Gebiet der Stader Geest wird durch die Bundesstraße 73, einer wichtigen Verkehrsachse zwischen Hamburg und Cuxhaven maßgeblich geprägt. Entlang der „B“, wie die B73 hier gerne genannt wird, haben sich Gewerbebetriebe angesiedelt. Harsefeld, eine der größten Kommunen, befindet sich am Rande der Geest im Randbereich der Elbe.

„Parkplätze“ – Hier war ich richtig. Hellmuth, mein Hund, hatte mich noch etwas aufgehalten, so war ich spät dran und musste mich beeilen, wenn ich den Anfang der Veranstaltung nicht verpassen wollte.

Als ich die Harsefelder Festhalle betrat, hatte der Hauptredner schon angefangen. Ich suchte meinen Platz. Nachdem ich ihn mit der Hilfe eines Gästebetreuers gefunden hatte, ergab ich mich dem Vortrag.

…. statt Dankbarkeit gegenüber den Erzeugern wertvoller Nahrungsmittel zu zeigen, reagiert eine satte Gesellschaft mit immer neuen Vorwürfen und Vorschriften. Die moderne Landwirtschaft sorgt dafür, dass es hierzulande jederzeit und in jeder Menge genügend Nahrungsmittel gibt. Ich fordere ein wenig mehr Demut im Umgang mit den Männern und Frauen ein, die tagtäglich dafür sorgen, dass wir alle satt werden. Nach meiner Ansicht gibt es keine Konflikte mit dem Naturschutz….

Ich versuchte dem Vortrag zu folgen, was nicht einfach war, da ich den Beginn verpasst hatte.

…auch die Saatzucht trägt dazu bei, dass Belange des Umweltschutzes berücksichtigt werden. Dazu zählen nicht zuletzt gezieltere und effektivere Methoden bei Düngung und Pflanzenschutz. Dafür hat sich unser Unternehmen entsprechende moderne Gerätschaften angeschafft wie Düngermischanlagen oder Pflanzenschutzspritzen. Solch innovative Technik wird auch unter dem Aspekt der Digitalisierung in der Landwirtschaft – Stichwort „Smart-Farming“ – eingeführt. Die meisten Investitionen, die im abgelaufenen Geschäftsjahr mehrere Millionen Euro betrugen, haben wir wieder einmal im Getreide- und Futtermittelsektor getätigt….

Hoffentlich ist bei den ganzen Investitionen noch etwas an Rendite übriggeblieben, schließlich bin ich hierhergekommen, um einen satten Gewinn abzugreifen.

…. dabei wird Regionalität großgeschrieben. Getreide, das in der Region angebaut wird, um es zu Futtermittel zu verarbeiten, das in die Region geliefert wird, liegt voll im Trend. Zu diesem Zweck haben wir das firmeneigene Mischfutterwerk in Apensen erneut erweitert. Dort werden die Produkte des neuen Mischfutterprogramms „Saatzucht Regio“ hergestellt, mit dem die Genossenschaft ihren Beitrag zur mehr Regionalität leistet ….

Ich schaute mich etwas um, für mich war das die erste Veranstaltung dieser Art, denn ich bin erst seit einem halben Jahr Mitglied der Genossenschaft und bin – in der Hoffnung auf gute Gespräche – gerne gekommen.

…. während bei den zwei Großbanken die Wertpapierbesitzer leer ausgehen, schütten wir unseren Mitgliedern eine Dividende von satten drei Prozent aus. Möglich ist das, weil die Geschäfte bei uns gut laufen. Mit den bereits genannten Millionen Umsatz sowie dem hohen Gewinn, den knapp 2.500 Mitgliedern und mehr als 400 Mitarbeitern zählt unser Stader Unternehmen zu den größten ländlichen Waren- und Agrargenossenschaften in Deutschland…

Nach weiteren drei Rednern hatte ich den Eindruck, dass meine Entscheidung, Genossenschaftsmitglied zu werden, wohl nicht so schlecht war: Drei Prozent, das war doch schon mal ganz gut bei den heutigen Zinsen.

Beim anschließenden Beer-Call standen die Teilnehmer noch in kleinen Gruppen zusammen und „arbeiteten“ das soeben Gehörte nach. Einige Genossenschaftler waren mir gut bekannt, und ich begrüßte sie per Handschlag oder, wenn sie im Gespräch waren, durch ein erkennendes Kopfnicken.

„Hallo Bernd“, begrüßte mich Jost-Reinfried, ein Spargelbauer auf der Stader Geest.
„Bist du jetzt auch Genossenschaftsmitglied oder wieder einmal auf Recherche?“
„Nein, nein. Recherche findet heute nicht statt, ich genieße heute mal den schönen Abend.“

Wir sprachen kurz über mein Engagement beim „Flüchtlingschor“. Hierbei handelte es sich um Kinder von Asylsuchenden, die unter meiner Anleitung im Hörsaal auf Jost-Reinfrieds Spargelhof Kinderlieder im Chor singen, und ich durfte mit ihnen, wenn die Früchte reif waren, Erdbeeren pflücken. Jost-Reinfried wollte wissen, ob ich im nächsten Jahr wieder dabei wäre. Ich sagte natürlich zu, denn die Sache lag mir schon sehr am Herzen.

Danach schlenderte ich so durch die Reihen, hielt hier und dort ein Schwätzchen, mal oberflächlich, mal intensiver, wie das auf solchen Veranstaltungen so ist. Weit nach Mitternacht, das eine oder andere Bierchen war schon getrunken, stand ich noch mit ein paar Leuten zusammen. Da waren Hubert von der Ahe, ein etwas kauziger Biologe aus Lühnenspecken, Jost-Reinfried, der Spargelbauer, ein Teil einer Gruppe von niederländischen Landwirten, die sich für das Genossenschaftssystem der Stader Saatzucht interessierten und Gäste der Saatzucht waren, sowie einige Landwirte aus der Umgebung.

Hubert hatte schon einiges getrunken und tönte von einer bahnbrechenden Innovation im Spargelanbau, die er in seinem „Hof-Labor“ entwickelt hätte. Ich hatte genug, auch Huberts Fachchinesisch über die Entwicklung von Spargelsorten konnte mich nicht vom Aufbruch abhalten. Den Wagen würde ich morgen Früh mit Hellmuth abholen. Ich ließ ein Taxi rufen und fuhr nach Fredenbeck, meinem Zuhause. Fredenbeck liegt zwischen Hamburg und Bremen auf der Stader Geest. Unsere Region ist ländlich geprägt, umgeben von umfangreichen Waldbeständen und Mooren.

Das Flüsschen Schwinge und einige Bäche mit ihren großen Wiesenflächen prägen das Umland. Hellmuth erwartete mich schon mit wedelnder Rute. „Na dann komm her, gehen wir noch eine Runde durch die Gemeinde.“ Hellmuth ist mein Partner, er ist ein Tamaskan-Rüde, vier Jahre alt und einem Wolf sehr ähnlich. Mit einem Stockmaß von 72 cm macht er schon Eindruck. Der Tamaskan ist eine Hunderasse aus Finnland, die gezüchtet wird, um der Urform des Hundes, also dem Wolf, so ähnlich wie möglich zu kommen, ohne die positiven Eigenschaften eines Haushundes zu verlieren.

Eigentlich handelt es sich beim Tamaskan um eine Rückzüchtung, bei der aus Haushunden wieder ein wolfsähnliches Tier werden soll. Der ein oder andere Nachbar hatte am Anfang Probleme damit, dass ich mir einen Hund angeschafft hatte, aber Hellmuth hat mit seiner Art das Eis dann doch schnell gebrochen. Hierzu muss man wissen: Die Menschen hier auf der Geest sind sehr wortkarg. Fremde oder Zugereiste, so wie ich einer bin, haben es sehr schwer, Zugang zu den Einheimischen zu bekommen. Hat man Anschluss bekommen, ist das dann aber verlässlich.

Wieder zu Hause angekommen, ging es dann gleich ins Bett. Ich habe zwar im Moment wenig zu tun, aber morgen will ich meinen Garten auf Vordermann bringen, noch ein paar Tage für meine Abschlussprüfung zum Privatdetektiv büffeln und nach deren Bestehen geht’s dann zur Belohnung in den Urlaub.
 

 

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