Jacob Ovens. Hochstapler – Betrüger – Deichbauer
Thomas B. Morgenstern

Leseprobe

Landrat von der Decken, Kehdingen:

Misstrauisch wurde ich, als Ovens begann, die Bestellungen von Holz und anderen Materialien selbst zu organisieren. Er wurde im Februar 1720 nach Hannover einbestellt, und ich hatte ihm angeboten mitzukommen. Aber er lehnte ab, er meinte, der Ruf der Kehdinger sei in Hannover schon arg ramponiert, der vielen Querelen wegen. Ein Vertreter von hier könnte eventuell für Missstimmung sorgen.

Seine Mission in Hannover war erfolgreich, er bekam die nötigen Mittel und sagte zu, dass alle Arbeiten, auch die Eindeichung der Bracke, bis Juni fertig sein würden. Als die Regierung verlangte, einen Kontrolleur zu bestellen, der die Ausgaben überwachen sollte, hatte Ovens geantwortet, das sei schon längst so eingerichtet, er habe eine vertrauenswürdige Person, die jeden von ihm getätigten Kauf kontrollieren würde. Hier habe ich das erste Mal den Kopf geschüttelt: Ovens hatte seinen eigenen Kontrolleur eingestellt, der auch noch aus der Kasse, die er kontrollieren sollte, bezahlt wurde. Aber zu dieser Zeit waren kleinliche Einwände nicht gefragt, der Hof in London und Hannover wollte Taten sehen und einen gestopften Deich. So begann Ovens im April 1720 mit der Eindeichung der Bracke, aber schon im Juni ging das Geld zur Neige. Hannover drängte die Kehdinger zu weiteren Schuldverschreibungen, aber Kehdingen konnte und wollte nicht. Die angrenzenden Ortschaften waren ebenfalls nicht in der Lage, weitere Obligationen zu zeichnen.

Ich bin kein Deichbauer, aber ich habe, wie viele andere, das Unglück kommen sehen. Ovens hat die Eindeichung der Bracke von beiden Seiten gleichzeitig begonnen, so wurde der Durchlass für das Flutwasser immer enger, der Strom dadurch immer reißender. Als im Juli eine Sturmflut auflief, die so hoch und stürmisch war, wie sie noch kein Kehdinger im Sommer je erlebt hatte, war die ganze Pracht dahin. Die mit großer Mühe eingebrachte Erde und die schönen Stämme wurden herausgerissen, weggespült und mit der nächsten Ebbe in die Elbe getragen. In Dithmarschen hat man die Bäume wieder eingesammelt. Jede Mühe schien umsonst, Gott schien es nicht zu dulden, dass der Deich gestopft werden sollte. Das war das zweite oder dritte Mal, dass eine fast fertige Arbeit weggespült wurde von den Kräften des Wassers.

Ovens reiste nach Hamburg, kaufte erneut große Mengen Holz und begann mit großem Ehrgeiz von Neuem. Im September war der Deich wieder geschlossen, aber im November riss die nächste Flut den Erddamm weg, im Dezember wurde das Holz weggeschwemmt.

1720 war die Situation genauso wie 1717 nach der ersten Flut: Kehdingen schien verloren.

Ovens hat gut verdient in seiner Zeit als Oberdeichinspektor, trotzdem schien ihm das nicht genug zu sein. Das Ergebnis der Untersuchung seiner Rechnungslegung überrascht mich nicht, und die Konsequenzen gegen ihn müssen hart und nachdrücklich sein. Dass ein Regierungsmitglied mit ihm gemeinsame Sache gemacht hat, ist so ungeheuerlich, dass man es kaum glauben mag. Der Geheime Kammerrat Ramdohr, den ich sehr geschätzt habe und dessen Söhne, der eine hier in Stade in der Garnison und der andere in der Geheimen Kammer in Hannover, haben sich von diesem Hasardeur ins Unglück ziehen lassen. Wenn es stimmt, was mir zugetragen wurde, dann hat der eine Sohn zur Hochzeit ein Haus in Stade in der Bungenstraße bezogen, das der alte Ramdohr ihm gekauft haben soll, das aber wohl so teuer gewesen war, dass Ramdohr das unmöglich aus eigenem Vermögen bezahlt haben kann. Und die Mitgift der Braut kann auch nicht hoch gewesen sein. Sie ist eine biedere Handwerkstochter. Wo hatte Ramdohr das viele Geld her, kann man sich da fragen. Die Antwort muss ich dem Gericht überlassen.

Was man Ovens sicher nicht vorwerfen kann, ist, dass im ganzen Jahr 1721 zur Sicherung der Deiche hier in Wischhafen so gut wie nichts geschehen ist. Die Streitereien und der Zank zwischen den einzelnen Ortschaften und die, ich muss es leider so nennen, unrealistischen Vorstellungen der Geheimen Kammer in Hannover, wo das Geld herkommen sollte, führten dazu, dass fast jegliche Bautätigkeit unterblieb. So waren die vier binnendeichs gelegenen Adelshöfe einfach untergegangen, die Häuser und Ställe in der jetzt fast 20 Meter tiefen Bracke verschwunden. Wer sich hatte retten können, wohnte entweder bei Freunden oder war so verarmt, dass er sich als Tagelöhner beim Deichbau verdingen musste. Augustin von Lixfeld war ein solcher Betroffener, er war eigentlich Deichpflichtiger, aber von seinem ehemals stattlichen Gut war nichts übrig geblieben. Dazu hat er noch seine Frau und die drei Söhne verloren. Wie soll so ein armer Mann Geld aufbringen, um die Deichreparatur zu bezahlen? Die Regierung hat ihm mit dem Spaten-Stechen gedroht, da fing von Lixfeld wie verrückt an zu lachen. Wo bitte der Spaten eingestochen werden solle, hat er gefragt, es gebe keinen Hof und keinen Deich, die Hohen Herren könnten es ja gerne auf der Wasserfläche versuchen, er würde sich bereit erklären, mit dem Boot zu der Stelle zu fahren, wo der Deich einmal gewesen sei. Ob sie auch die Stelle besuchen sollten, wo sein Hof gestanden habe? Dann fing der arme Mann an zu weinen.

Welche Betrügereien der Ovens genau gemacht hat, weiß ich nicht, ich habe ja keinen Einblick gehabt, aber sein Kassierer, der junge Leutnant Engel und sein Techniker von Steinfeld sollte man dazu peinlich befragen.

*

Die Welt sei voller Gefahren, wurde Ovens von Ramdohr gewarnt, da sei es wichtig, dass man füreinander einstünde. Ovens hört Ramdohr kaum zu. Das Abendessen, zu dem er vom Geheimen Kammerrat genötigt worden war, zog sich wie immer in die Länge. Ovens wünschte sich nach Hause, er hatte ein stattliches Haus für viel Geld an einer vornehmen Straße gemietet, deren Pflastersteine aber so nachlässig verlegt worden waren, dass eine Kutsche wie ein Kahn im Sturm hin- und hergeworfen wurde.

Ramdohrs Frau war dem Essen ferngeblieben. Sie fühle sich unwohl, hatte sie mitteilen lassen, zu ihrem größten Bedauern könne sie dem hoch verehrten Gast nicht persönlich einen guten Appetit wünschen.

Ovens wurde vorsichtiger, wenn die Frau die Gespräche zwischen ihm und dem Geheimen Kammerrat mit anhörte. Sie verachtete ihn, aber die Abneigung war gegenseitiger Natur.

Ramdohr beugte sich über den Tisch:

Man dürfe sich nicht seine Gönner zu seinen Feinden machen, raunte er. In Hannover seien einige Herren nicht mehr so gut auf ihn, Ovens, zu sprechen. Er wisse, er habe manches Mal eine, wie solle er das ausdrücken, na ja, direkte Art.

Ovens nickte und verstand nicht, worauf der Alte hinauswollte. Er nippte an seinem Wein. Ein saurer Tropfen, der besser als Essig im Salat gelandet wäre, dachte er.

Plötzlich, vielleicht war es die Wirkung des Alkohols, wusste er, worauf Ramdohr abzielte. Ovens beschloss, sein Gegenüber noch etwas zappeln zu lassen und warf wie beiläufig ein, das Essen sei ganz ausgezeichnet gewesen, wenn er zum Abschluss noch etwas dem Tabak frönen dürfte, sei er rundum zufrieden. Ramdohr sprang geschäftig auf, suchte die Utensilien zusammen und hoffte auf einen gut gelaunten Gesprächspartner.

Man könne ja das eine oder andere Geschäft zusammen machen, schlug Ovens vor. Ramdohr hüpfte vor Freude vom Stuhl.

Wenn er weiterhin so fest zu ihm stehe, werde es sein Schaden sicher nicht sein. Ob es ihm gelegen komme, wenn die Deichkasse ihm einen kleinen Kredit gewähre?

Ramdohr strahlte.

Nun ja, erwiderte er, auf keinen Fall sei es seine Art, den König zu schädigen, er wolle ganz sicher das geliehene Geld mit Zins und Zinseszins zurückerstatten.

Sicher, sagte Ovens.

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