La Paloma für den Mörder
Anke Cibach
Leseprobe
In der Straße von Malakka durfte man nachts nicht schlafen. Das wusste keiner
besser als John Eysing, seit über zehn Jahren als deutscher Kapitän in diesem
Revier unterwegs. Mit Herzklopfen, wofür er sich nicht einmal schämte.
Dreizehn Männer mit durchschnittenen Kehlen hatte man vor nicht zu langer Zeit
aus einem Fischernetz geborgen, das in Küstennähe trieb. Eine komplette
Mannschaft, bis auf den Kapitän, den fand man später in der Kühlkammer des
verlassenen Schiffes. Kopflos, vielleicht hatte er vorher noch den Helden
spielen wollen.
Auch ganze Frachter oder Tanker waren in diesem Gebiet schon verschwunden. Die
Ladung auf Bestellung geraubt, die Schiffe anschließend versenkt. Oder sie
dienten unter neuem Namen und neuer Flagge als Basisstation für weitere
Verbrechen.
Die achtzehn Kilometer lange Meerenge zwischen Indonesien und Malaysia galt
nicht ohne Grund als gefährlichstes Gewässer der Welt. Die Piraten hatte hier
leichtes Spiel. Und mit der indonesischen Marine war nicht zu rechnen,
jedenfalls nicht im guten Sinne, die steckten doch alle unter einer Decke,
wusste Eysing.
Es war nicht besonders schwer, ein Schiff zu stürmen. Manchmal gab es auf den
Handelsschiffen nur einen Mann auf der Brücke, drei weitere unter Deck, an den
Besatzungen wurde von Jahr zu Jahr mehr gespart.
Außerdem verfügten moderne Piraten heute über Schnellfeuergewehre, Raketenwerfer
und Speed-Boote. Was nutzte die Empfehlung, Hochdruckschläuche und
Blendscheinwerfer einzusetzen, wenn es keine Leute zu deren Bedienung gab?
Eysing stand auf der Brücke, war auf der Hut. Noch zwei Stunden bis zum
Tagesanbruch und Wachwechsel. Die rötliche Mondsichel verzog sich gerade hinter
einer Wolke, als die Piraten im Schutz der Dunkelheit mit ihren wendigen,
kleinen Booten längsseits gingen, Hakenseile warfen und im Nu das Schiff
enterten, begleitet von kurzen, gezischten Kommandorufen in einer nasalen
Sprache.
Er hatte keine Zeit, Angst zu empfinden, da war nur das Gefühl, gelähmt zu sein.
Handlungsunfähig. Diese Männer gehörten nicht zur Sorte der technisch
hochgerüsteten Verbrecherbanden, auch wenn sie bis an die Zähne bewaffnet waren.
Altmodische Macheten und Messer, dazu Pistolen, die wahrscheinlich nur zur
Abschreckung dienten.
Der Anführer trug ein Halstuch vor dem Gesicht, fuchtelte mit der Waffe und
wirkte wie der Held eines zweitklassigen Wildwestfilms. Trotzdem befolgte Eysing
seine Anordnungen, betrachtete sich als Geisel, zeigte unter Deck den fast
leeren Safe und ignorierte die Schreie seiner Leute, vermengt mit denen der
Piraten.
Als ein Schuss fiel, zuckte er nur kurz zusammen, erlebte alles wie im Traum. Im
Gegensatz zu dem Banditen, der nervös wurde und „Money, Money" forderte.