Im Norden stürmische Winde
Wolfgang Röhl

Leseprobe

„Die Wahrheit ist eine nicht aufgedeckte Lüge."

(aus dem Thriller „Das Ostermann Weekend", zitiert nach Bernhard Hamms Macintosh-Datei „Starke Sprüche")

ES WAR EIN UNBESTIMMTES, kaum wahrnehmbares Geräusch, das ihm verriet, wenn ein Auto kam. Eine Frequenz, die sich in der Großstadt nahtlos ins Grundrauschen einfügte. Hier jedoch, in der abgeschiedenen Moorlandschaft, klang sie wie ein Warnsignal.

Wenn jemand die Birkenallee von der Landstraße zu seinem Haus nahm, hörte Hamm ihn lange, bevor er auf dem Vorplatz einlief. Er hörte ihn sogar, wenn die Zufahrt durch Grünzeug abgeschottet war, wie jetzt, im Sommer.

Wer konnte das sein? Hamm hasste unangekündigten Besuch. Als ihm ein Onkel den Resthof vererbte - warum, hatte er nie heraus gekriegt; der Onkel und er waren sich nicht besonders nahe gewesen -, hatte ihn hauptsächlich die isolierte Lage davon abgehalten, das Grundstück umgehend zu verscherbeln.

Er hatte probehalber eine Woche in der alten, mit Reet gedeckten Fachwerkkate gewohnt und schnell gelernt, die Geräusche der Stille zu genießen. Das Klappern der Störche, die in den nassen Wiesen noch genug Frösche fanden. Das Flügelschlagen der Enten, wenn sie aus dem Schilfgürtel des Flussufers aufflogen. Die nächtlichen Käuzchenschreie wie aus einem Edgar Wallace-Film.

Eine uralte Kulturlandschaft, die sich wegen des Verschwindens der Landwirtschaft langsam renaturierte. Höfe wurden aufgegeben, Äcker nicht mehr bestellt. Der braune Fluss, der durch die Region mäanderte, war schon lange keine Wirtschaftsstraße mehr, sondern das Revier von Sportbootkapitänen.

Manchmal sah Hamm tagelang keinen einzigen Menschen. Doch jetzt kam einer.

Hamm überlegte. Der Müllsack wurde einmal pro Woche an der Straße abgeholt, die Post in den Briefkasten am Eingang der Zufahrt geworfen. Die diversen Controllettis, die alle Jahre wieder hunderte von Euro für Überprüfungen abzockten, welche ebenso gut alle zehn Jahre hätten stattfinden können, sie hatten ihn bereits heimgesucht.

Schornsteinfeger, Heizungs-Emissionsmesser und der Inspekteur der Klärgrube hatten sogar schon ihre Rechnungen geschickt. Wer also? Zeugen Jehovas? Zwei von ihnen waren mal da gewesen, aber zu Fuß. Die fahren nicht mit dem Auto, dachte Hamm. Auserwählte tun so etwas nicht.

Die Katze Susi strich um seine Hosenbeine, daran erinnernd, dass es Zeit für ihr zweites Frühstück war. Jeden zweiten Tag musste Hamm seine Hosenbeine mit einem Fusselroller bearbeiten, weil das Tier haarte, als wolle es sein Fell komplett abwerfen und fürderhin nackt durch die Welt spazieren. Jeden Sommer dasselbe Spiel. Im Winter dagegen legte sich Susi einen gewaltigen Pelz zu, der sie aussehen ließ, als sei sie vollkommen überfressen. Was Hamm gelegentlich vorwurfsvolle Bemerkungen einbrachte.

Plötzlich fiel ihm ein, wer der Besucher sein musste.

Der Blödmann! Der Kopfgeldjäger! Der Typ von der Gebühreneinzugszentrale!

Hamm zahlte aus tiefster Überzeugung keine Fernsehgebühren. Die sieben Milliarden Euro, die das Staatsfernsehsystem harmlosen Zuschauern jährlich aus den Taschen leierte, mussten reichen. Ein Teil davon, so hatte der Bundesrechnungshof gerade aufgedeckt, wurde regelmäßig mit kostspieligen, grundlosen Auslandsreisen verschwendet, auf welche sich die Gebührenmafiosi selber einluden.

Das meiste Geld wurde freilich mit dem Wasserkopf an Mitarbeitern vergeudet, den sich die Anstalten im Laufe der Jahrzehnte zugelegt hatten und der unerhörte Privilegien genoss, wie Hamm aus seiner Zeit als Journalist wusste. Fernsehleute waren praktisch unkündbar, wie Beamte. Auf dem Gelände des zweitgrößten Senders gab es sogar eine Tankstelle, wo sie verbilligtes Benzin bunkern konnten.

Mahnbriefe der GEZ warf Hamm stets ungeöffnet in den Papierkorb. Wer sollte ihn in dieser Pampa aufstöbern?

Aber vor einem halben Jahr war ein Opel mit dem Kennzeichen des Nachbarkreises auf den Hof gefahren. Heraus hatte sich ächzend eine vierschrötige Gestalt geschafft, Typ Zubrot verdienender Frührentner. Der Ungeschlachte hatte Hamm ein Ausweiskärtchen entgegen gestreckt, als sei es die Lizenz zum Töten, und routiniert wie ein Kripomann geschnarrt: „Ich bin von der GEZ und muss die Zahl der Rundfunk- und Fernsehgeräte kontrollieren".

Hamm hätte ihm gerne einen kleinen Vortrag gehalten. Darüber, dass er keinen lausigen Cent für ein Programm zu zahlen bereit war, in dem eine Figur wie der Schwiegermütterschwarm den Ton angab. So nannten sie den durch die verschiedensten Sendungen turnenden Grinseburschen, bei dem jeder seine neueste Schrott-CD oder seine jüngste witzlose Beziehungsklamotte gratis bewerben durfte.

Hamm hätte auch sagen können, dass er keine Lust habe, das stumpfsinnige Volksmusik-Gedudel und die quietschbunten Alpen-Schmonzetten zu finanzieren, mit dem die öffentlichen-rechtlichen Sender die Verblödungsanstrengungen der Privaten noch zu überbieten trachteten. Ebenso wenig die ewigen Gutmenschen-Kampagnen, mit der das Fernsehen die wehrlosen Zuschauer überzog, als seien sie die natürliche Beute von Politikern, Kirchenfürsten, Gewerkschaftsbonzen oder Öko-Lobbyisten.

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