Tim Börne Trilogie
Thorsten Beck

Leseprobe aus: Ausgestempelt

Tim versuchte, den Schlag seines Gegners zu erreichen. Doch der über die rechte Seitenwand des Squash-Courts als Volley-Bast gespielte Ball war gut angesetzt. Ehe Tim ihn mit seinem Schläger erwischen konnte, prallte die kleine Gummikugel ins „nick". So nennt man die Kante, an der Seiten- und Stirnwand eines Squash-Platzes zusammenlaufen. Von dort fiel der Ball für Tim unspielbar auf den Parkettboden. Er keuchte. Nach einer halben Stunde auf dem Court begannen seine Konditionsprobleme. Vor allem dann, wenn er gegen Jason, den baumlangen Neuseeländer, spielte. Tims Gegner konnte sich meistens darauf beschränken, im „T", der T-förmigen Platzmitte, wo die Aufschlaglinien zusammentreffen, auf Fehler seines Kontrahenten zu warten. Seine unglaubliche Reichweite machte es jedem Mitspieler schwer, Jason aus dem „T" zu locken. Er ließ seine Gegner laufen und zermürbte sie dabei. Heute hatte es Tim getroffen.

Tim nutzte die Pause, die vor dem nächsten Aufschlag durch das Ballaufnehmen und das Beziehen der Position im jeweiligen Rechteck entstand, zum Atemholen. „The T is the key!", grinste Jason. Tim hätte ihn würgen können.

Jasons nächsten Aufschlag konnte Tim volley retournieren und seinen Mitspieler anschließend mit einem Stoppball zwingen, die Platzmitte zu verlassen. Es gelang Tim, Jasons kurz gespielten Return mit einem Lobball zu beantworten, der gegen die rückwärtige Glaswand prallte und auch für den mit mächtigen Sätzen nach hinten eilenden Neuseeländer unerreichbar war. Das Aufschlagrecht war zurückerobert.

„Next time we can play with kiwis, if you want", versetzte Tim lachend und genoss seinen Konter. Er wusste, dass Jason ihm derlei Bemerkungen nicht krumm nahm.

Das Klopfen der Nachfolger gegen die gläserne Rückwand beendete einige Minuten später das ungleiche Duell. Zwar hatte sich Tim nach zwei verlorenen Sätzen zuletzt noch auf sechs zu acht Punkte an Jason Dunlap herangearbeitet. Doch ein glänzend geschlagener Volley-kross brachte dem Neuseeländer den Drei-Satz-Sieg. Tim gratulierte artig und sie verließen den Court.

Anschließend setzten sie sich auf die kleine Tribüne im Vorraum und stillten ihren Wasserbedarf. Jason nutzte die Gelegenheit und bat Tim, ihm in einer Bußgeldangelegenheit weiterzuhelfen. Tim, der nachschwitzte wie ein Grizzly, verspannte sich. Wenn er etwas nicht leiden konnte, waren es Freunde oder Bekannte, die ihn mit einem kostenlosen Rechtsberatungsbüro verwechselten. Dass er mit rechtlicher Beratung seinen Lebensunterhalt bestritt, schien den Betreffenden nicht in den Sinn zu kommen. Üblicherweise zückte er in solchen Situationen - jedenfalls dann, wenn es sich nicht gerade um enge Freunde handelte - seine Visitenkarte, um die Gesprächssituation ein wenig förmlicher zu gestalten. Das wirkte meistens. Er beschränkte sich dann auf einige allgemeine Anmerkungen zu Rechtswegen und Rechtsmitteln und bot einen Besprechungstermin in seinem Büro an. Als einer unter 8000 Hamburger Rechtsanwälten musste Tim sich unter Wettbewerbsbedingungen behaupten und hatte daher so gut wie immer seine Visitenkarten dabei, es sei denn, er trug Squash-Shorts und ein verschwitztes T-Shirt, auf dem ein Kiezmotiv aufgedruckt war. Mit letzterem warb eine Ur-Hamburger Biermarke um neue Kunden. Die Brauerei wäre vor einigen Jahren stillgelegt worden, wäre nicht im letzten Moment ein Ruck der Solidarität durch die Stadt gegangen, der schließlich den Senat zur vorläufigen Übernahme des Betriebes gezwungen hatte.

Jason gehörte zwar nicht zu Tims engen Freunden. Dennoch beschloss er, heute eine Ausnahme zu machen, gewissermaßen als Ausgleich dafür, dass der Neuseeländer sich oft genug in den langen Schlangen vor der Ausländerbehörde an der Amsinckstraße die Füße platt stehen musste, wenn er notwendige Bescheinigungen ergattern wollte. Tim hörte sich Jason Dunlaps deutsch-englisches, mit einigen verunglückten Vokabeln Amtsdeutsch komisch angereichertes Kauderwelsch an, ließ dabei seinen Blick mehrfach unauffällig in den Fitness-Bereich schweifen, in dem zahlreiche weibliche Wesen mit Feetwarmers und Bustiers in Neon-pink und Neon-gelb Aerobic-Übungen vollführten, und hatte schließlich noch vor der eiskalten Schwalldusche Jasons letzte Frage beantwortet. In der Sauna hoffte er endlich sich zu entspannen, doch das machte der Aufguss eines angestochenen Neuankömmlings zunichte, der Tim fast die Luft nahm. Jetzt war ihm klar, warum in den Zeitungen gestanden hatte, dass Saunaaufgüsse gesundheitsgefährdend sein können.

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